Zur subjektiv wahrgenommenen Wertschätzung von Polizist*innen im Außendienst

Laureen Sieber, Institut für Soziologie, Technische Universität Chemnitz

Die Wahrnehmung von sozialer Wertschätzung ist sehr persönlich und individuell (vgl.
Adler/Fagley 2005). Laut Honneth (2018: 209 f.) bedeutet sich gegenseitig wertzuschätzen
„sich reziprok im Lichte von Werten zu betrachten, die die Fähigkeiten und Eigenschaften des
jeweils anderen als bedeutsam für die gemeinsame Praxis erscheinen lassen.“ Die Erfahrungen
von sozialer Wertschätzung bestärken das Vertrauen in die eigenen Eigenschaften und
Fähigkeiten, welches die praktische Selbstbeziehung der Selbstschätzung steigert (vgl. ebd.:
197–211). Im Arbeitskontext wird Wertschätzung neben dem Lohn/Gehalt und gewährtem
Aufstieg bzw. gewährter Arbeitsplatzsicherheit als Belohnung (Gratifikation) für erbrachte
Leistung benannt (vgl. Siegrist 2005: 71).

Während der Corona-Pandemie wurde die Wertschätzung von „systemrelevanten Berufen“ in
der Öffentlichkeit sowie in der Wissenschaft umfangreich thematisiert. Obwohl der
Polizeiberuf ebenfalls dazugehört, liegen bisher äußerst wenige Erkenntnisse über die
Wertschätzung von Polizist*innen vor. Trotz der wenigen Erkenntnisse wird überwiegend davon ausgegangen, dass Polizist*innen von fehlender Wertschätzung betroffen sind, da sie häufig respektlose Behandlung, Konflikte, Gewalt und Kritik erfahren (vgl.
Bauknecht/Wesselborg 2021; DGB 2017). Die Wertschätzung ist äußerst relevant für den
Polizeiberuf, da sie ein zentraler Motivator für die weitere Berufsausübung darstellt. Im
Gegensatz dazu führt die Wahrnehmung von fehlender Wertschätzung zu Stressreaktionen und
wirkt demotivierend (vgl. DHPol 2023).

Aufgrund der Relevanz und der bestehenden Forschungslücke hat sich die Autorin innerhalb
ihrer Bachelorarbeit mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern sich Polizist*innen für ihre Arbeit wertgeschätzt fühlen. Um die Frage zu beantworten, wurde eine qualitativ-explorative Studie durchgeführt. Im Konkreten wurden fünf Polizist*innen aus verschiedenen
Außendienstbereichen1 im Rahmen eines qualitativen Leitfadeninterviews befragt. Die
Auswahl der Interviewpartner*innen erfolgte von der jeweiligen Polizeidirektion. Dennoch wurde explizit um Polizist*innen aus verschiedenen Außendienstbereichen sowie um
mindestens zwei Polizist*innen gebeten, um Unterschiede feststellen zu können.

Die Interviews wurden mittels der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring analysiert.
Abgesehen von ihrer empirischen Bewährung ermöglicht sie eine systematische und
theoriegeleitete Analyse von großen Textmengen (vgl. Mayring 2022: 49–52). Das Ziel der
Studie bestand zum einen darin, die Wertschätzung von den verschiedenen Akteursgruppen
innerhalb des Polizeiberufs (Bürger*innen, Kolleg*innen, Leitungen) zu erfassen. Dabei sollte
ebenfalls die Wertschätzung als Bestandteil des sozialen Rückhalts aus den Primärbeziehungen
(Freunde/Familie) berücksichtigt werden (vgl. House 1981). Andererseits stand ebenfalls der
Einfluss von Politik und Medien im Fokus.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die befragten Polizist*innen zunehmend respektlose Behandlung und fehlende Wertschätzung wahrnehmen. Sie führen die Zunahme der respektlosen Behandlung u.a. auf die negative Darstellung in den Medien, auf die Politik im Kontext bestimmter politischer Entscheidungen und Einstellungen sowie auf gesellschaftliche Entwicklungen, insbesondere der Individualisierung, zurück. Dennoch fühlen sie sich für ihre geleistete Arbeit wertgeschätzt. Einerseits liegt das daran, dass die Häufigkeit der fehlenden Wertschätzung und respektlosen Behandlung zwischen den Außendienstbereichen sowie zwischen den Geschlechtern variiert und von der (nicht-vorhandenen) Uniform abhängt. Streifenpolizist*innen erfahren am häufigsten fehlende Wertschätzung und respektlose Behandlung. Dennoch existieren geschlechtsspezifische Unterschiede. Polizisten sind im
Vergleich zu ihren weiblichen Kollegen vermehrt von körperlichen Angriffen betroffen. Auch
die Uniform spielt eine zentrale Rolle, da die Polizist*innen durch sie entpersonalisiert und als Personifikation des Staates wahrgenommen werden. Somit dient die respektlose Behandlung gegenüber Polizist*innen zum Teil als Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem Staat bzw. mit
politischen Maßnahmen wie z.B. den freiheitsbeschränkenden Maßnahmen während der
Corona-Pandemie. Zum einen sind dementsprechend nicht alle Polizist*innen gleichermaßen von respektloser Behandlung und fehlender Wertschätzung betroffen. Andererseits ist für die Polizist*innen der soziale Rückhalt bzw. die Wertschätzung aus ihrem beruflichen sozialen
Netzwerk (Leitungen/Dienstgruppe) von besonderer Bedeutung, während die (fehlende)
Wertschätzung von Bürger*innen eine eher untergeordnete Rolle spielt. Schlussfolgernd ist der
soziale Rückhalt bzw. die Wertschätzung aus dem beruflichen sozialen Netzwerk
ausschlaggebend für die subjektiv wahrgenommene Wertschätzung, da er den Umgang mit den
hohen und belastenden Anforderungen im Polizeiberuf (z.B. respektlose Behandlung,
traumatische Erlebnisse…) erleichtert (Puffer-Effekt) (vgl. Sieber 2024).

Obwohl die Ergebnisse die wenigen Erkenntnisse über die subjektiv wahrgenommene
Wertschätzung von Polizist*innen erweitert haben, sind aufgrund ihrer hohen Komplexität und Relevanz weitere Untersuchungen zur Vertiefung und Ausdifferenzierung erforderlich. Zumal die Ergebnisse aufgrund der induktiven Schlussfolgerungen zunächst nur für die befragten Polizist*innen gelten und weiterer empirischer Überprüfung bedürfen. Dabei bieten die
Ergebnisse einen soliden Ausgangspunkt. Eine Option bestünde darin, die dargelegten
Ergebnisse in einen standardisierten Fragebogen zu überführen, um die Annahmen mithilfe
einer deutlich größeren Stichprobe bestehend aus Polizist*innen im Außendienst zu überprüfen. Die Beobachtung und Analyse der sozialen Interaktionen der Polizist*innen sowie die
Erfassung des indirekten Einflusses von Politik und Medien bieten weitere interessante Ansätze
für zukünftige Untersuchungen.

Literatur
Adler, Mitchel G./N. S. Fagley (2005): Appreciation: Individual Differences in Finding Value and Meaning as a Unique Predictor of Subjective Well-Being, in: Journal of Personality, Wiley-Blackwell, Bd. 73, Nr. 1, S. 79–114, [online] doi:10.1111/j.1467-6494.2004.00305.x.
Bauknecht, Jürgen/Bärbel Wesselborg (2021): Psychische Erschöpfung in sozialen Interaktionsberufen von 2006 bis 2018, in: Prävention und Gesundheitsförderung, Bd. 17, Nr. 3, S. 328–335, [online] doi:10.1007/s11553 021-00879-0.
DGB – Deutscher Gewerkschaftsbund (2017): Emotionale Belastung im Polizeiberuf, DGB-Index Gute Arbeit, [online] https://index-gute-arbeit.dgb.de/++co++449c4fd0-07dc-11e7-895d-525400e5a74a [abgerufen am 06.02.2025].
DHPol – Deutsche Hochschule der Polizei (2023): Zwischenbericht MEGAVO – Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten, polizeistudie.de, [online] https://polizeistudie.de/. [abgerufen am 06.02.2025].
Honneth, Axel (2018): Kampf um Anerkennung: zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, 10. Aufl.,
Frankfurt am Main, Deutschland: Suhrkamp Verlag.
House, James S. (1981): Work Stress and social support, Boston, Vereinigten Staaten von Amerika: Addison-Wesley
Mayring, Philipp (2022): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken, 13. Aufl., Basel, Weinheim, Deutschland: Beltz Verlag.
Sieber, Laureen (2024): Zwischen Dienst und Wertschätzung – Zur subjektiv wahrgenommenen Wertschätzung von Polizisten im Außendienst, in: Die POLIZEI, Bd. 12/2024, S. 432-441, Hürth, Deutschland: Carl Heymanns Verlag
Siegrist, Johannes (2005): Medizinische Soziologie, 6. Aufl., München, Deutschland: Elsevier Urban & Fischer.

  1. Darunter: Polizeirevier: Streifendienst, Kriminalpolizeiinspektion: Kriminaldauerdienst, Inspektion Zentrale Dienste:
    Fachdienst Einsatzzüge, Verkehrspolizeiinspektion: Autobahnpolizeirevier ↩︎
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