von Svenja Spyra
Das Thema Umwelt und Klima hat in sozialen Bewegungen immer noch Hochkonjunktur. 2023 ließ sich der rege Protest rund um den Braunkohletagebau Garzweiler II medial breit beobachten. Er lässt sich als symbolträchtige Auseinandersetzung um die Ortschaft Lützerath in Nordrhein-Westfalen charakterisieren. Die Ortschaft wurde an den Energiekonzern RWE Power verkauft, die Ortschaft umgesiedelt. Die FAZ schrieb dazu: „Der verwaiste, aber von Klimaaktivisten besetzte Weiler ist der letzte Ort, der dem Tagebau Garzweiler II weichen muss. Kuckum, Berverath, Unter- und Oberwestrich sowie Keyenberg werden nicht mehr abgebaggert, 280 Millionen Tonnen der besonders klimaschädlichen Braunkohle bleiben im Boden. Der Kohleausstieg im Rheinischen Revier wird auf 2030 vorgezogen.“ (FAZ, 10.01.2023[1]).
Vor diesem Hintergrund scheint es interessant, einen Blick in die Geschichte sozialer Umweltbewegungen in Deutschland zu werfen. Die reicht in Deutschland bis ins 19. Jahrhundert zurück (vgl. Kropp/Sonnberger 2021: 131). Die Hauptforderung der Umweltbewegung(en) im 19. Jahrhundert war die Einrichtung von Naturschutz und Naturschutzgebieten als Reaktion auf die Industrialisierung, d.h. es ging um die Bewahrung „natürlicher Landschaften“ (ebd.: 138). Diese Bewegungen verstanden sich aber eher als apolitisch und waren im damaligen Kaiserreich entsprechend politisch neutral (vgl. ebd.: 138). Die Umweltbewegungen der Gegenwart hingegen gehen stärker auf US-amerikanische Bewegungsgeschichten zurück. In der Gegenwart sind Umweltbewegungen stärker global ausgerichtet und zum Teil als globalisierungskritische Umweltbewegungen formiert, welche die Folgen der neoliberalen Globalisierungspolitik kritisierten – entsprechend gibt es internationale Vernetzungen (vgl. ebd.: 140f.). Internationale Vernetzungen werden auch bei gegenwärtige Klimabewegungen wie Fridays for Future deutlich. Der Sammelband Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel (Haunss/Sommer 2020) befasst sich aus verschiedenen Perspektiven mit dieser Sozialen Bewegung und ihrem Protest. Nun lassen sich soziale Risiken in der Gegenwart nicht alleine und allgemein auf individueller Ebene lösen, wie Sighard Neckel betont: „Jeder ökologische Umbau bedarf zu seiner Realisierung der Verankerung in den Alltagswelten der Menschen.“ (Neckel 2023: 8) Neckel bezieht sich in seinen Ausführungen auf wirtschaftliche Themen (z.B. Energie, produzierendes Gewerbe, Infrastrukturen) (ebd.). Er schreibt im Hinblick auf die Freisetzung von Treibhausemissionen durch Gebäude, dass diese circa 90 Prozent eben dieser freisetzten und zeigt auf, dass diese nicht allein auf individueller Ebene reduziert werden können (vgl. ebd.). Konkret formuliert er, „das [sich das, Sv.S.] rein individuelle Bemühen um ökologische Nachhaltigkeit als weitgehend vergebliche Anstrengung heraus[stellt, Sv.S.], weil es von den existierenden Infrastrukturen schlichtweg nicht zugelassen wird.“ (ebd.)
1994 erschienen das Buch Reflexive Modernisierung von Ulrich Beck, Anthony Giddens und Scott Lash. Darin beschreiben Sie die „Modernisierung der Moderne“ (Beck/Giddens/Lash 2019: 8) als eine „reflexive Moderne“ (ebd.: 8). Im Hinblick auf die Gesellschaft geht es dabei um die Transformation und Modernisierung jener Sozialstrukturen, die für Nationalstaaten und Industriegesellschaften charakteristisch sind (vgl. ebd.: 8). Bereits 1986 beschrieb Ulrich Beck in seinem Werk Risikogesellschaft eine soziale Transformation oder Modernisierung, die aufgrund der Auflösung traditioneller und tradierter gesellschaftlicher Strukturen des Sozialen eine Reihe an Risiken und Ängsten für Mensch, Flora und Fauna mit sich brächten (vgl. Beck 1986: 8). Beck spricht hier dezidiert von „Modernisierungsrisiken“ (Beck 1986: 29), die (u.a.) aus der Auflösung der Klassen- und Ständegesellschaft resultierten (vgl. ebd.: 8) und sich gesellschaftlich mit und aufgrund der sozialen, industriellen Modernisierung weiter zuspitzen (würden) (vgl ebd.: 29).
Diese Auflösungen finden anteilig auch bei Fridays for Future Berücksichtigung, bspw. in Form von vielschichtigen Reflexionen auf soziale Positionen, die unterschiedliche soziale Standorte und kulturelle Perspektiven einbeziehen. Die Sozialstrukturforscherin Ilse Lenz theoretisiert dieses Handeln allgemein, das die Beteiligung an politischen Zusammenhängen und Auseinandersetzungen prozessual aushandelt, in ihrem Ansatz zur prozessualen Intersektionalität (vgl. Lenz 2019). Lenz bezieht die grundlegenden Perspektiven der Sozialstrukturforschung mit ein und rekurriert nicht allein auf sogenannte soziale Identitäten. Vielmehr werden neben sozialen Positionen auch die Aspekte des Zusammenhangs von monetärem Kapital, kulturellem Kapital und damit verbundener Repräsentation, aber auch Mentalitäten berücksichtigt (vgl. Lenz 2019: 414). Auf diese Weise und aus dieser Perspektive wird zukünftig hoffentlich ermöglicht, sozial-ökologische Transformationen empirisch zu eruieren und im Anschluss an Beck und Lenz zu theoretisieren.
Die ipb annual conference 2025 befasst sich in diesem Jahr mit Protests and Social Movements between Innovation and Tradition. Sie wird am 1.-2.10.2025 an der Universität Bremen stattfinden. Abstracts können noch bis zum 31.05. eingereicht werden: https://protestinstitut.eu/event/ipb-annual-conference-protests-and-social-movements-between-innovation-and-tradition/
Das Buch von Haunss/Sommer (2020) und weitere ipb Projekte wie die Green Legal Spaces Studie (2025), das ipb-Working Paper zu Klimaprotesten in Deutschland (2023) und Arbeiten zu vielen anderen Protestthemen findet ihr hier: https://protestinstitut.eu/publikationen/
Literatur
Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/Main, Suhrkamp. S. 7-11.
Beck, Ulrich/ Giddens, Anthony/ Lash, Scott (2019 [1994]): Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse. Frankfurt/Main, Suhrkamp, S. 7-12.
Neckel, Sighard (2023): Klimakonflikte. Chancen und Hindernisse eines sozial-ökologischen Wandels. In: Ritschel, Gregor/ Müller, Thomas (Hrsg.). Baustellen der Nachhaltigkeit. Berliner Debatte Initial 34, S. 3-11.
Lenz, Ilse (2019): Intersektionale Konflikte in sozialen Bewegungen. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, 32(3), S. 408-423.
Rucht, Dieter/Rink, Dieter (2020): Mobilisierungsprozesse von Fridays for Future. Ein Blick hinter die Kulissen. In: Haunss, Sebastian/ Sommer Moritz (Hrsg.): Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel. Konturen der weltweiten Protestbewegung. Bielefeld, transcript.
Haunss, Sebastian/ Sommer Moritz (Hrsg.): Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel. Konturen der weltweiten Protestbewegung. Bielefeld, transcript.
[1] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/luetzerath-und-die-braunkohle-radikale-klimabewegung-18589769.html